• Neue Medien

Wenn die Wahrheit verletzend ist

Trennen Sie Sach- und Beziehungs-Ebene

Ohne #merkelstreichelt hätte der Vorfall kaum so viel Medienecho hervorgerufen. Als Angela Merkel vergangene Woche unter dem Titel „Gut leben in Deutschland“ auf PR-Tour ging und bei einem Gespräch mit Schülerinnen und Schülern in Rostock einem weinenden libanesischen Mädchen mit den Worten „Aber das hast du doch gut gemacht“ den Kopf streichelte, löste sie einen gewaltigen Twitter-Shitstorm aus. DIE WELT, der SPIEGEL, die FAZ, … alle sprangen auf den Zug auf und meldeten sich zu Wort. Nachrichten werden längst nicht mehr nur von den so genannten "Klassischen Medien" gemacht – dafür haben wir hier ein aktuelles Beispiel.

Für das Medientraining ist aber vor allem interessant, dass hier eine Verantwortungsträgerin live und ohne Vorwarnung mit den negativen Folgen ihres Handelns konfrontiert wurde – und das Publikum ebenso live beobachten und bewerten konnte, wie sie mit der Situation umging. Ohne in die Häme eines Shitstorms zu verfallen: Aber wenn man Frau Merkel etwas vorhalten könnte, dann wäre das ein gewisses Maß an Unbeholfenheit. Und die muss wirklich nicht sein.

Also hier noch einmal im Detail. Reem, ein Mädchen aus dem Libanon, das seit 4 Jahren in Deutschland lebt, das perfekt Deutsch gelernt hat, das begabt und gut integriert ist, schildert ihre Situation: Ihre Familie hat noch immer keinen definitiven Aufenthaltsbescheid. Ein Mädchen wie Reem könnte in Deutschland eine glänzende Zukunft haben – wenn sie nur wüsste, ob sie hier überhaupt willkommen ist.

Da gibt Angela Merkel sofort den Fehler zu, der in der Asylpolitik nicht nur in Deutschland in den letzten Jahren gemacht worden ist: Die Verfahren dauern so lange, dass Menschen wie Reem häufig ausgewiesen werden, obwohl sie sich bereits ein berufliches und soziales Leben aufgebaut haben. Von einem Tag auf den anderen fallen sie ins Nichts.


Der Gang in den Fettsee

So weit, so gut. Aber jetzt wurde es problematisch, indem Angela Merkel die Realität aussprach: „Politik ist hart, und wenn wir sagen, ihr könnt alle kommen, dann können wir das nicht schaffen; und es werden manche auch wieder zurückgehen müssen.“ Dieser Satz, hier verkürzt aber sinngemäß wiedergegeben, löste beim Mädchen die Tränen aus.

Aber da war es noch nicht vorbei. Im Mittschnitt kann man sehen, dass Angela Merkel jetzt langsam realisierte, was sie angerichtet hatte.

Sie unterbrach sich bei dem, was sie gerade sagte, ging zu dem Mädchen hin, streichelte es am Kopf und sagte zu ihm: „Komm, du hast das doch prima gemacht.“ Der Moderator warf ein: „Ich glaube nicht, Frau Bundeskanzlerin, dass es da ums Prima-Machen geht, sondern um eine belastende Situation.“ Merkel insistierte, dem Mädchen auf die Schulter klopfend: „Du hast für viele, viele andere prima dargestellt, in welche Situation man kommen kann.“ Das war wohl der Moment, als die ersten Twitter-User in die Tasten griffen.


Auf der richtigen Ebene kommunizieren

Man könnte sagen: Ein bisschen Feingefühl ist manchmal nicht zu viel verlangt. Bei allem Respekt vor der Wahrheit: Aber diese jemandem ins Gesicht zu sagen, wenn sie ihm den Boden unter den Füßen wegzieht, zeugt nicht gerade von übermäßigem Takt. Und dass Deutschland alle Flüchtlinge dieser Welt aufnimmt, verlangt ja ohnehin niemand. Hier hat Angela Merkel ohne Not auf der Sachebene argumentiert, wo sie die Beziehung mit ihrer Gesprächspartnerin hätte klären müssen.

Eine menschliche Reaktion wäre in dieser Situation gewesen, sich bei dem Mädchen dafür zu entschuldigen, dass man es in eine missliche Lage gebracht hat, und zu versprechen, dass man sich bemühen wird, den Missstand zu beheben. Auf diese Weise hätte sich das Mädchen ernst genommen gefühlt. Und das Publikum hätte Frau Merkel als Menschen wahrgenommen, der zwar Fehler macht, aber trotzdem das Beste für andere Menschen versucht.

Und wir können daraus lernen: Die Wahrheit ist wunderbar. Aber wenn sie verletzt, ist sie manchmal einfach das falsche Register.

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