Auch wenn Barack Obama in Hannover von „einer der größten politischen Leistungen der Neuzeit“ gesprochen hat, aber Europa hat schon bessere Tage gesehen. Von Malta bis zum Nordkap – die Stimmung ist nicht gut. Um das zu wissen, müssen wir nicht einmal in Wien mit der U-Bahn fahren.
Das weiß auch der Papst – und hat seine Dankesrede für den Karlspreis, den er vor zwei Wochen erhielt, ganz dem Thema „Motivation in schwierigen Zeiten“ gewidmet. Und das ist für all jene unter Ihnen interessant, die dasselbe in Unternehmen oder Organisationen leisten müssen. Aus der wirklich sehr guten Rede des Papstes kann ich Ihnen für Ihre Auftritte einen wertvollen Hinweis ableiten: den sorgfältigen Umgang mit den Mitteln der Motivation.
Dafür stehen Ihnen im Wesentlichen zwei Alternativen zur Verfügung: Hoffnung und Erschütterung.
Erschütterung bedeutet: Standpauke, Kritik, auch Provokation. Der Papst hat dieses Mittel vor einiger Zeit in einem Interview angewandt, in dem er die EU in einer Rede im Europäischen Parlament mit „einer Großmutter“ verglich, die „nicht mehr fruchtbar und lebendig ist“. Bei Angela Merkel hat’s jedenfalls gewirkt – die war sauer.
Hoffnung bedeutet: Benenne das Problem, aber verzichte dabei auf große Kritik. Richte stattdessen den Blick in die Zukunft und auf das, was jetzt Zuversicht geben kann. „Die EU wird die Größe der europäischen Seele wiederentdecken, die aus der Begegnung von Zivilisationen und Völkern entstanden ist.“, sagte der Papst und zitierte dabei nicht zufällig Konrad Adenauer, einen der Gründerväter. Und in I-have-a-dream-Manier fuhr er fort: „Ich träume von einem Europa, in dem das Migrantsein kein Verbrechen ist.“
Beide Mittel, sowohl Hoffnung, als auch Erschütterung, sind für die Motivation des Publikums geeignet. Was mir an der Rhetorik des Papstes besonders gut gefällt: Er hat ein gutes Gefühl dafür, wann welches Mittel angezeigt ist. Im Augenblick ist Hoffnung richtig, Erschütterung wäre verfehlt. Wenn Sie einem Publikum, das zerstört und ohne Ausweg am Boden liegt, eine Standpauke halten, werden Sie es noch weiter zerstören – aber nicht motivieren. Wenn Sie einem Publikum, das das Problem nicht erkennt und verbohrt in eine schlechte Richtung rennt, Hoffnung machen, werden Sie es in falscher Sicherheit wiegen – aber nicht motivieren.
Die Lektion, die Sie für Ihre eigenen Auftritte vom Papst lernen können, lautet also: Schauen Sie auf die Situation und geben Sie Ihrem Publikum das, was gerade angezeigt ist.
- Autor:
- Stefan Schimmel
- Foto:
- Hope von Steve Snodgrass auf Flickr.