Wir wissen: Die südliche US-Grenze zu Mexiko ist ein heiß debattierter Ort. Statt wie sein Vorgänger eine Mauer bauen zu wollen, plant Präsident Biden jetzt, die Ursachen für die Flucht hunderttausender Menschen zu bearbeiten, und schickt dafür seine Vizepräsidentin Harris nach Mittelamerika, um dort Gespräche zu führen.
Und? Interessiert sich die Biden-Administration nun gar nicht mehr für die Grenze selbst? Nicht nur die Republikaner hatten die Regierung vergeblich aufgefordert, doch einmal einen Lokalaugenschein vorzunehmen. "Warum waren Sie bisher nie an der Grenze? Warum wollen Sie nicht das sehen, was die Amerikaner in dieser Krise sehen?" Diese Fragen stellte der NBC-Moderator Lester Holt der Vizepräsidentin in einem TV-Interview in Guatemala. Die Fragen waren unangenehm – vor allem, weil sie einen Vorwurf enthielten, der mit dem Thema nichts zu tun hatte. Um ihre Agenden zu verfolgen, musste Frau Harris die Grenze nicht gesehen haben.
„Haben Sie Pläne, die Grenze zu besuchen?“, fragte Lester Holt.
An der Miene der Kamala Harris konnte man einen kurzen Moment lang den Ärger ablesen, aber auch die innere Suche nach dem besten Ausweg aus dieser Sackgasse. Also ausweichen: „Zu einem bestimmten Zeitpunkt werden wir zur Grenze gehen. Wir waren an der Grenze. Diese ganze Sache dreht sich um die Grenze. Wir waren an der Grenze. Wir waren an der Grenze.“
„Sie waren nicht an der Grenze.“, gab Lester Holt zurück.
„Ja, und ich war auch noch nicht in Europa! Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen. Ich stelle nicht in Abrede, dass die Grenze wichtig ist.“
Leider hat dieses Interview die Fragen nicht beruhigt. Der Vorwurf, dass die Regierung nicht am Brennpunkt präsent gewesen war, beschäftigt nach wie vor die amerikanischen Debatten. Und er lenkt nach wie vor von den eigentlichen Zielen und Plänen der Frau Harris ab.
Was hat also in diesem Interview nicht funktioniert?
Einmal: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Als sie Europa ins Spiel brachte, wollte Kamala Harris sagen: Ich war auch an anderen wichtigen Orten noch nicht. Der Vergleich hinkt deshalb, weil die Dame von ihrem Chef extra mit der Lösung eines besonderen Problems, nämlich der Migration im Süden der USA, beauftragt worden war. Europa hat damit nichts zu tun.
Dann: Wenn Sie in einem Interview jemals einer Frage ausweichen, haben Sie eine wichtige Aufgabe. Wenn Sie die Frage nicht beantworten, muss das, was Sie als Alternative anbieten, wichtiger, relevanter, interessanter und spannender sein, als es die Frage war. Ein paar knappe, billige Ausflüchte wie die der Frau Harris reichen nicht. Sie müssen die Zusehenden für Ihr Foul ernsthaft entschädigen und ihnen zeigen, dass Sie grundsätzlich das Beste für sie wollen, auch wenn Sie diese eine (im Übrigen unfaire) Frage nicht genau beantwortet haben. Das ist dann guter Stil.
Ein schöner Rettungsanker wäre für Kamala Harris gewesen zu erklären, warum ihre Gesprächsreise nach Mittelamerika sinnvoll war, was sie bisher damit bereits geleistet hatte, und welche Pläne sie damit verfolgte. Damit hätte sie ihr ernstes Interesse an der Lösung des brennenden Problems zu erkennen gegeben – auch wenn sie selbst den Ort des Geschehens noch nicht begutachtet hatte.
Und übrigens: Guter Stil ist immer auch eine Sache der guten Vorbereitung. Wenn Sie in Ihrem nächsten TV-Interview unfaire Fragen erwarten, helfen wir natürlich gerne.
- Autor:
- Stefan Schimmel
- Foto:
- Pixabay.