Wenn einflussreiche Menschen gestorben sind, erinnert sich die Nachwelt oft an DIE eine Rede, die ihren Ruf in besonderem Maß begründet hat. „Mehr Demokratie wagen“: Dieser Satz wird immer mit Willy Brandt in Verbindung gebracht werden. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen!“ mit Roman Herzog. „Stay hungry, stay foolish!“ mit Steve Jobs.
Nun, nach dem Tod von Helmut Kohl vergangene Woche, ist das nicht anders – der Schlüssel-Moment dieses Mannes war der 19. Dezember 1989, als er vor der Ruine der Dresdner Frauenkirche eine Ansprache hielt: „Mein Ziel bleibt die Einheit unserer Nation.“ Dieser Satz begründete sein Image als Baumeister der deutschen Einheit.
DIE WELT hat zu Kohls Dresdner Rede vor ein paar Jahren einen Artikel geschrieben, der bemerkenswert ist, weil er nachzeichnet, wie sie entstanden ist. Und das ist auch für die Medien-Kommunikation interessant, denn Ausnahme-Reden sind wie verschlossene Kammern, in denen man Gold finden kann – wenn man fragt, was der Schlüssel war. Was die Person, die die Rede hielt, nun genau richtig gemacht hat, damit es zu diesem besonderen Moment kommen konnte.
Sprechen in schwierigen Situationen
Also hier in aller Kürze: Als Kohl im Dezember 1989 nach Dresden reiste, war sein „Zehn-Punkte-Plan zur Herstellung der deutschen Einheit“ ein paar Monate alt – und auf scharfe Ablehnung der internationalen Beteiligten gestoßen, vor allem der Russen. In der DDR war die friedliche Revolution in vollem Gang, aber es waren immer auch Gewaltakte zu befürchten.
So selbstverständlich die deutsche Einheit aus heutiger Sicht ist – damals war sie alles andere als ausgemacht. Die Reise war für Helmut Kohl ein Gang auf Eiern: Er durfte niemanden brüskieren, aber auch niemandes Hoffnungen enttäuschen. Aus diesem Grund hatte Kohl ursprünglich auch gar keine Rede geplant, sondern nur eine Kranzniederlegung.
Aber dann fiel die Entscheidung dafür, etwas zu sagen. Es fiel die Entscheidung für den besonderen Schauplatz. Und da passierte etwas Bemerkenswertes: Kohl bereitete sich nicht wie gewöhnlich mit einem kunstvoll geschriebenen Skript, sondern mit einem Filzstift auf einem kleinen Zettel vor (für das Transskript: klick). Und genau so klang das Ergebnis: Im Urteil der Beobachtenden war der Auftritt keine große Show, sondern (bei aller vom Setting geforderten Lautstärke) eine sensible und sehr menschlich vorgetragene Botschaft an die Anwesenden, als auch darüber hinaus an die ganze Welt.
Was hat Kohl nun richtig gemacht? Was hat ihm geholfen? – Ich würde sagen: das Gespür für die richtigen Worte. „Mein Ziel bleibt die Einheit der deutschen Nation.“ Diesen Satz an diesem Ort auszusprechen, war nicht ungefährlich. Und er durfte auch nicht unkommentiert gesagt werden. Kohl hat ihn in seiner Rede immer wieder flankiert, zum Beispiel: „Selbstbestimmung heißt, dass wir Ihre Meinung respektieren … wir respektieren, was Sie für die Zukunft Ihres Landes entscheiden.“
Das ist das Besondere, das wir von Helmut Kohls Rede lernen können: Überzeugung ist sehr wohl mit Respekt vor anderen Befindlichkeiten möglich. Wenn Sie in einer schwierigen Situation ein Interview geben, halten Sie an Ihrem Prinzip fest. Aber respektieren Sie gleichzeitig, dass es andere Meinungen geben kann, und gehen Sie darauf ein.
Ihre Zuhörenden werden es Ihnen danken. Denn sie werden sich wahrgenommen fühlen.
- Autor:
- Stefan Schimmel
- Foto:
- Este es Helmut Khol von r2hox auf Flickr.