Vergangene Woche veröffentlichte Alexander Dobrindt (CSU) in der WELT einen Essay, in dem er eine „ neue bürgerliche Revolution“ propagierte. Seither hat er’s nicht leicht.
Der SPIEGEL spricht von Kritik und Spott. Die ZEIT von Quatsch. Die FAZ von Klamauk.
Der Bürgermeister vom Prenzlauer Berg, nicht faul, lud Dobrindt zu einem Latte Macchiato ein – um sich davon zu überzeugen, dass der so genannte „linke Lebensstil“, den man diesem Berliner Bezirk zuschreibt, nicht ganz Deutschland dominiere. Zu allem Überfluss kam dann auch noch Marietta Slomka, die Dobrindt im „heute journal“ des ZDF fast 7 Minuten lang auf seine Revolution festnagelte.
Ein politisch denkender Mensch könnte die Frage stellen: Sind jetzt alle deutschen Medien links? Untergriffig? Böse? Aber schauen wir uns die Fragen, die Marietta Slomka beim Interview gestellt hat, einmal genauer an – ich greife hier vier davon heraus:
- Hat Helmut Kohl in den 80ern denn gar nichts erreicht, dass Sie sich jetzt an den Alt-68ern abarbeiten müssen?
- Sie sprechen drei Mal in dem Artikel von „Revolution“, das bedeutet Aufstand, Systemveränderung, radikaler Wandel. Sind Sie sicher, dass das deutsche Bürgertum eine Revolution möchte?
- Im Moment regiert seit 12 Jahren eine CDU-Kanzlerin – richtet sich Ihr Aufruf zur Revolution auch gegen Frau Merkel?
- Sie wollen mit der SPD eine große Koalition bilden. Ist das denn stimmungsmäßig ein gelungener Auftakt für die Sondierungsgespräche?
All diesen Fragen ist ein Kriterium gemeinsam: Sie sind plausibel. Sie gründen auf Einwände, die in den Köpfen der Frau und des Mannes auf der Straße tatsächlich entstehen können.
Journalistinnen und Journalisten versetzen sich in ihr Publikum und überlegen: Wo bedarf es einer Klärung? Wo kann ein Widerspruch entstehen? Wo gibt es vielleicht Zweifel an der Glaubwürdigkeit? Nachfragen entstehen nicht durch politische Überlegungen, sie entstehen durch den Zweifel. Auch dann, wenn dieser dem Interviewpartner oder der Interviewpartnerin vielleicht ungerecht erscheint. Wenn Sie vielleicht das Gefühl haben, dass man Sie grillt.
Je mehr Zweifel in der Öffentlichkeit entsteht, desto mehr Nachfragen wird es geben. Diese Faustregel gilt nicht nur für Herrn Dobrindt, sie gilt für alle, die in ein TV-Interview geben. Kümmern Sie sich also nicht um die gefühlte Ungerechtigkeit der Fragen. Kümmern Sie sich um Ihre Antworten. Dann können Ihnen auch die Fragen nichts anhaben – egal wie sie lauten.
- Autor:
- Stefan Schimmel
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