„Habt’s mich gern!“ Mit diesen Worten läutete Christian Kern vergangene Woche seinen Interview- und Inseraten-Boykott der Zeitung ÖSTERREICH ein. Anlass war ein internes SPÖ-Papier (eine Art Psychogramm des Bundeskanzlers), das ÖSTERREICH zugespielt und dort veröffentlicht worden war. Von außen betrachtet scheint diese Veröffentlichung Teil eines Machtkampfes zu sein; sie ist für Christian Kern wenig schmeichelhaft und äußerst unangenehm – deshalb ist seine Reaktion menschlich absolut nachvollziehbar.
Aber ist sie auch klug?
Ich greife hier den Fall auf, weil wir diese Vorgänge aus unserem Printtraining sehr gut kennen: Da sind gestandene Führungskräfte von Headlines und Artikeln so verletzt, dass sie den innigsten Wunsch verspüren, mit dem betreffenden Medium absolut nicht mehr sprechen zu wollen. Und viele Fälle sind menschlich genauso nachvollziehbar wie der von Christian Kern.
Allerdings gibt es dagegen ein gewichtiges Argument: Ein völliger Boykott kommt immer auch einem Angriff auf die Pressefreiheit gleich. Was Herrn Kern betrifft, machen sogar Vergleiche mit Herrn Erdogan die Runde, bzw. mit dessen Art, mit den Medien seines Landes umzugehen.
Medien – ein verfassungsrechtlich eingesetztes Korrektiv
Wenn Schlagzeilen Grenzen überschreiten, dürfen und müssen Medien dafür kritisiert werden. Aber wenn Sie ein Medium vollkommen boykottieren, schaden Sie sich selbst damit mehr, als es die Headlines tun würden, die Sie verletzen. Ein Boykott befeuert in der Öffentlichkeit die Vermutung, dass die erhobenen Vorwürfe stimmen. Ein Boykott verstärkt die – immer wieder auch unfaire – Kritik der Gegner: zum Beispiel die Rede von der „Prinzessin Kern“.
Und ein Boykott stachelt die Journalisten an, sich zur Wehr zu setzen. Vor Jahren gab es den Fall von Baudouin Prot, damals Vorsitzender der BNP Paribas, der ein Interview mit dem HANDELSBLATT vollständig zurückzog – woraufhin die Journalisten das Interview nur mit den gestellten Fragen veröffentlichten. Auch hier trifft zu: Der Schaden war für den Mann viel größer, als es sein Interview hätte sein können.
Also: Zögern Sie nicht, ein Medium für eine Schlagzeile auch einmal zu kritisieren; tun Sie dies fundiert, höflich und bestimmt. Aber verhängen Sie niemals einen Boykott.
- Autor:
- Stefan Schimmel
- Foto:
- Pixabay.