Sie muss sich wie in einem eigenartigen Film gefühlt haben, in diesem Hangar des alten Berliner Flughafens Tempelhof, auf diesem blitzblanken Podest, mit dieser goldenen Kamera in den Händen und mit ihrem ernsten Anliegen allein inmitten von 1200 geladenen Gästen, deren Leben maßgeblich von der Unterhaltung bestimmt wird.
Greta Thunberg und das Who-is-Who der deutschen Film- und Fernsehszene: zwei Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Aber sie wäre keine gute Aktivistin, wenn sie nicht auch diesen Anlass für ihre Ziele genutzt hätte, nämlich um die Unterstützung von Menschen zu werben, deren Stimme in dieser Welt große Bekanntheit genießt.
Wenn Sie aus Ihrem eigenen kommunikativen Alltag Situationen kennen, in denen Sie vor Ihrem Publikum mit einer Meinung auf weiter Flur allein dastehen, obwohl Sie sie für die richtigste und wichtigste der Welt halten, dann können Sie von dieser Dankesrede der Greta Thunberg einiges mitnehmen:
Lassen wir hier einmal den Umstand beiseite, dass Greta Thunberg beim Publikum grundsätzlich Autorität genießt, weil sie eine weltumspannende Bewegung begründet hat. Und weil außerdem ganz deutlich spürbar ist, dass jedes Wort, das sie spricht, von einer großen Überzeugung getragen wird.
Konzentrieren wir uns lieber darauf, was sie in dieser Rede gemacht hat. Zum Beispiel: Sie hat ihr Publikum einigermaßen unverhohlen attackiert.
„(…) Prominente, Film- und Popstars, die sich gegen alle möglichen Ungerechtigkeiten auflehnen, sich nicht für Umwelt- und Klimagerechtigkeit engagieren, weil sie dann nicht mehr um die Welt fliegen könnten, um ihre Lieblingsrestaurants, Strände und Yoga-Seminare zu besuchen (…).“
Aber sie hat diese Attacke nicht direkt auf ihr Publikum losgelassen, sondern in anonymisierter Form: „Wir leben in einer merkwürdigen Welt, in der Prominente, Film- und Popstars, …“ Sie hat ihrem Publikum also nicht gesagt: Ihr seid schuld. Sie hat ihrem Publikum gesagt: Euresgleichen ist schuld.
Da gibt es einen kleinen, aber feinen Unterschied, auf den ich Sie aufmerksam machen möchte: Wenn Sie Ihr Publikum direkt angreifen, wird es sich Ihrem Anliegen versperren, selbst wenn Sie damit noch so recht haben. Selbst wenn Ihr Angriff noch so geboten erscheint.
Wenn Sie Ihren Vorwurf allerdings in einen allgemein gültigen Kontext stellen („Es soll ja Unternehmen, Abteilungen, Teams, etc. geben, in denen …“), dann wird das Publikum sich zwar beteiligt, aber nicht persönlich angegriffen fühlen. Die betretenen und nachdenklichen Gesichter, die im Mitschnitt zu sehen sind, und nicht zu vergessen der starke und ehrliche Applaus am Schluss geben dieser Taktik recht.
Wenn Sie Ihrem Publikum also einen berechtigten Vorwurf zu machen haben, dann anonymisieren Sie ihn und stellen Sie ihn in einen allgemeinen Kontext.
Kleiner Kunstgriff, große Wirkung.
- Autor:
- Stefan Schimmel
- Foto:
- Pixabay.