Wolfgang Schäuble rechnet fest mit ihm. Othmar Karas pocht auf seine Bestellung. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda, ist überzeugt, dass „es sich auf ihn zu bewegt“ – auf Jean-Claude Juncker als neuen EU-Kommissionspräsidenten. Doch die Sache ist längst nicht gegessen, während über 350 Millionen wahlberechtigte Europäer darauf warten, dass das Versprechen: „Die bessere Person möge gewinnen!“ und die Leitung der Europäischen Kommission übernehmen, eingelöst wird.
Eine andere Lösung würde die Europawahl, bei der die Bürger sich zwischen dem SPD-Kandidaten Martin Schulz und dem konservativen Juncker entscheiden sollten, zur Farce machen, kommentierte Springer-Chef Mathias Döpfner in der “Bild”: “Sowas geht vielleicht in der DDR oder in rechtsnationalistischen Bananenrepubliken. Aber nicht in der EU. Die schafft sich sonst selbst ab.”
Unterdessen unternimmt Angela Merkel mit David Cameron eine mediengerecht inszenierte Bootsfahrt und plant dabei „den dreistesten Wahlbetrug in der Geschichte Europas“, Zitat Huffington Post (Ein besonders hübsches Bild von der Bootsfahrt finden Sie zum Beispiel hier.).
Ein Würfel mit nur einer Seite
Eine Bootsfahrt wäre an und für sich noch nichts Böses, aber die frontale, perspektivenarme Beleuchtung über die “Wählertäuschung“ erklärt sich durch den Vertrauensverlust in Zeiten der Wirtschaftskrise. Der „Infomatrix-Würfel“ der Berichterstattung hat bloß noch eine Vorderseite. Die „anderen“ Flächen des Würfels, die der umfassenden Beleuchtung des Problems dienen würden, finden in der Berichterstattung kein Interesse. Der Respekt vor der zu erwartenden, ablehnenden Reaktion des Publikums auf mögliche entlastende Gründe für die „Betrügerin“ ist groß und könnte einem Verrat an den entrüsteten, auf den ersten Blick getäuschten Konsumierenden der Medien gleichkommen. So entrüsten sich die Medien ebenso, die wahren Hintergründe („Hidden Agendas“) bleiben im Verborgenen, und journalistische Ursachen-Forschung bleibt weitgehend aus.
Umso bemerkenswerter ist das Vorgehen der deutschen Kanzlerin in der Causa Juncker. Denn wer zieht sich und seiner Partei wissentlich und freiwillig den Unmut so vieler Menschen zu?
Vielleicht jemand wie Angela Merkel, der das Chromosom „Drama-Queen“ fehlt und somit die Bereitschaft, das eigene dem Mainstream zuwider laufende Handeln auf reißerische Art und Weise zum höheren Wert zu erklären. Eigentlich ein sympathischer, wenn auch manchmal etwas langweiliger Wesenszug. Doch hier wird er zum wiederholten Male zum Handicap - gerade wenn es darum geht, einem unattraktiven Standpunkt beim Publikum ebenso hohes Ansehen wie den Vorwürfen einzuräumen und den Medien gleichzeitig emotionale Anteilnahme zu garantieren. Es braucht, zum guten Zweck, ein niedriges Motiv. Nämlich: „Gegenaufregung“. Die Entrüstung muss erschüttert werden. Ähnlich einem Lauffeuer, das durch eine professionell ausgeführte Brand-Explosion angehalten werden kann.
Feuer mit Feuer löschen
Headlines wie: „Junker sprengt UNSER Europa in die Luft!“ oder: „Ein Versprechen wird zum Verbrechen!“ wären ihr vermutlich zu populistisch gewesen. Und so rudert sie freundlich lächelnd mit den „Verrätern an der Wählerschaft“ gegen den Strom. Diese Bootsfahrt ist nicht lustig, denn der Gedanke, alle ins Boot holen zu wollen und zu versuchen, selbst Cameron und Orban zu EU-Pros zu machen, während sich die Rechte unter Marine Le Pen in Stellung bringt, bleibt undeutlich und schwächelt vor sich hin. Die Machtverteilungs-Kämpfe zwischen Parlament und Kommission kommen nicht vor.
Eine Polarisierung, ein Streit oder eine sprichwörtliche Auseinandersetzung würde zumindest ein argumentatives Hin und Her erlauben und die Möglichkeit zur mehrdimensionalen Berichterstattung erhöhen.
Ein Würfel hätte plötzlich wieder mehr Seiten.
- Autor:
- Stefan Wagner
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