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Der neue Maßstab

Der Fall Relotius hat gezeigt, dass die SPIEGEL-Redaktion dem, was ihr Statut postuliert, nicht gerecht geworden ist.“, heißt es in der Präambel der „SPIEGEL-Standards“, die vergangene Woche der Öffentlichkeit vorgestellt worden sind. Und weiter: „Die Erarbeitung der Leitlinien ist deshalb eine zeitgemäße Rückbesinnung auf die Grundsätze, nach denen die SPIEGEL-Redaktion arbeitet.“

Armin Wolf jubelte.

Und wir anderen, die wir zwar mit den Medien arbeiten, aber nicht immer vollen Einblick in deren innerste Heiligtümer haben, wir bekommen Antworten auf so manche Frage. Wie ist das also? Wie denkt und arbeitet die SPIEGEL-Redaktion, wenn sie ihren journalistischen Grundsätzen gerecht wird? Ich greife hier einen Punkt heraus, der für Sie am wichtigsten ist, weil er Ihren Umgang mit Printmedien betrifft:

Die Geschichte muss stimmen. Stimmen heißt nicht nur, dass die Fakten richtig sind, dass es die Personen gibt, dass die Orte authentisch sind. Stimmen heißt, dass der Text in seiner Dramaturgie und seinem Ablauf die Wirklichkeit wiedergibt.

Dieses Zitat finde ich bemerkenswert, denn, so naheliegend und selbstverständlich es klingt, kritisiert es doch eine Praxis, die sich in vielen Redaktionsstuben in den letzten Jahrzehnten stillschweigend eingebürgert hat: dass nämlich die Journalistin oder der Journalist mit einer fertigen Geschichte im Kopf das Interview mit Ihnen beginnen, und dass sie alles, was Sie sagen, ihrer Geschichte unterordnen.

Und dass, was nicht dazu passt, dann eben passend gemacht wird.

Diese Praxis hat für Leute wie Claas Relotius den Weg geebnet. Der Mann hat nichts anderes getan, als da und dort Fakten, Personen oder Aussagen dazu zu erfinden oder wegzulassen, damit seine Geschichten den außergewöhnlichen Anstrich bekamen, mit dem er als Journalist Karriere machen konnte. Und Relotius ist kein Einzelfall – vor Jahren gab es zum Beispiel in den USA Stephen Glass, der mit derselben Masche arbeitete; sein Fall wurde sogar verfilmt – guter Film übrigens.

Journalismus: Dogmatik oder Empirie?

Nun sind in Printmedien natürlich nicht nur betrügerische Personen am Werk, im Gegenteil: Viele arbeiten hart und redlich. Aber die Grundfrage ist immer: Interessiert sich eine Journalistin oder ein Journalist mehr für die eigene Haltung? Oder mehr für die Erforschung der Wirklichkeit? Bemerkenswert ist, dass die SPIEGEL-Leitlinien nun die Empirie in den Vordergrund stellen, und nicht die Dogmatik:

Folgt die Recherche einer These, ist nicht nur nach Belegen für, sondern auch nach Belegen gegen diese These zu suchen. Jede Recherche erfolgt ergebnisoffen.

Eine in den Printmedien tätige Person, die nach diesen Grundsätzen arbeitet, wird das Gespräch mit Ihnen nicht mit einem vorgefertigten Bild beginnen. Sie wird hören, was Sie sagen. Sie wird natürlich auch hören, was Ihre Gegnerinnen oder Konkurrenten sagen, das ist ihr gutes Recht. Und wenn sie alles gehört hat, wird sie daraus ihren Text formulieren – einen Text, der der Wirklichkeit möglichst nahekommt, und nicht dem Bild, das sie sich im Voraus von der Wirklichkeit gemacht hat.

Und jetzt kommt die schlechte Nachricht: Diese Grundsätze sind edel, werden aber nicht von allen befolgt. Wenn Sie sich auf ein Interview vorbereiten, muss Ihre Frage also lauten: Wie kann ich meine Inhalte so darstellen, dass ihr Wert klar und deutlich wird – unabhängig davon, ob ich es mit einer Empirikerin oder einem Dogmatiker zu tun habe?

Eine mögliche Antwort: Geben Sie die Fakten, aber geben Sie auch den Kontext. Also: Warum und für wen sind die Inhalte XY bedeutsam? Diese Vorgangsweise hilft den Journalistinnen und Journalisten dabei, die Inhalte zu gewichten und in eine dramaturgische Ordnung zu bringen. Unabhängig davon, ob sie der Empirie oder der Dogmatik anhängen.

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